Es geht ums Verstehen
Elf junge Brasilianer aus sieben privaten Projekten stellen beim Gonzalinho-Treffen Inhalte, Werte und Motivation für ihren Kampf um Überleben vor. Die Bonhoeffer-Schul-AG lernt hautnah am Leben.
Gäste aus Brasilien in Metzingen: Gymnasium und Bonifatiusgemeinde feierten
gemeinsam einen brasilianischen Abe (Foto: Angela Steidle)
Für eine warme Mahlzeit, Schule und gemeinsame Aktivitäten, statt stehlen, dealen und Bandenjobs macht sich die Brasilien AG des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums seit vielen Jahren beim Gonzalinho-Projekt stark. Derzeit sind elf Jugendliche aus sieben privat organisierten Initiativen aus der Partnerregion Mato Grosso zum Projektaustausch in Metzingen. "Dieser Abend gehört den Gästen", sagte Gonzalinho-Mentorin Katja Polnik am Mittwochabend im St. Bonifatius Gemeindehaus, wo ein brasilianischer Abend stattfand.
"Unser Schüleraustausch-Programm war von Anfang an ein soziales und bildungspolitisches Projekt", erklärt Katja Polnik. "Wir haben 2002 als erstes die Landlosenbewegung MST besucht. Die weltgrößte soziale Bewegung ihrer Art. Durch den Jugend-Austausch sollte ein Verständnis auf Augenhöhe entstehen. Deshalb auch die Gegenbesuche in Metzingen. Bei jedem Aufenthalt in Brasilien ist ein Projekt dazu gekommen.
"Katja Polnik, Religionslehrerin am Gymnasium, ist treibende Kraft hinter der Brasilien AG. 17 Schüler im Alter von 14 bis 18 Jahren und eine Handvoll Lehrer erarbeiten sich übers Jahr bei Intensiv-Wochenenden zu Kultur, Politik und gesellschaftlichen Zusammenhängen, Wissen: "Es geht ums Verstehen, um ein eigenes Urteil. Wenn man versteht, warum und wie das Agro-Business direkt in unser Leben eingreift, ist der bildungspolitische Inhalt am größten." Die Landlosenbewegung MST erzwingt durch die Besetzung brachliegender Ländereien die Landreform.
Am Mittwochabend wurden sieben Partner-Profile vorgestellt. Von selbstbewussten, engagierten jungen Menschen, die in ihrer Heimatregion um Rechte, Werte, Ethik und Überlebensbedingungen kämpfen. Am Anfang standen die Kinder aus dem Metzinger Gonzalinho-Projekt: 40 von ihnen haben in einem Viertel, in dem Gewalt und Drogen herrschen, seit Jahren einen Ort, an dem sie sich aufhalten können. Das Kinderhaus wurde 2008 über Spenden der Schul-AG und Mittel des eigens gegründeten Fördervereins gekauft. Monatlich unterstützt die Brasilien AG das Projekt über Spendenaktionen und Klassenpatenschaften in Höhe von 500 Euro. Gonzalinho hilft in zweierlei Hinsicht, erklären die brasilianischen Gäste: "Über die Kinder, die das Projekt leben und die Gesellschaft, in die sie gelernte Werte vermitteln.
"Guilherme Mendes de Arruda ist Nachfahre vom Stamm der Chiquitanos. 110 Überlebende des nahezu ausgerotteten Stammes haben sich 1989 an der Grenze zu Bolivien wieder angesiedelt. Nur anerkannte indigene Stämme haben einen Anspruch auf eigenes Land. In Jugendkulturgruppen lernen die Nachfahren Wissen von den Alten: die eigene Stammes-Sprache, Kultur, Tänze und das Kunsthandwerk. Der handgearbeitete Jagdbogen im Gebrauch, den der Mechaniker-Lehrling aus seinem Dorf mitgebracht hat, wurde im St. Bonifatius-Gemeindehaus versteigert.
Eine ganz enge Beziehung verbindet die Brasilien AG des Bonhoeffer-Gymnasiums mit der berühmten Universität von Mato Grosso. Drei selbstorganisierte Studenten-Initiativen stellten sich am Mittwochabend vor: Eine Neugründung zum Schutz von Tieren, eine Initiative, die sich für basisdemokratische Strukturen stark macht und Kulturprojekte organisiert sowie ein Netzwerk zur solidarischen Wirtschaft: 60 Ehrenamtliche engagieren sich in Armenvierteln für Basisprojekte und neue Lösungen zur Selbsthilfe.
Erstaunlich ist ein Uni-Projekt, das 2008 ein ehrenamtliches Corps aus Rotkreuz-Helfern, Krankenschwestern und Feuerwehrleuten installiert hat, die bei Unfällen, Katastrophen und im humanitären Dienst im Einsatz sind.
Die Gonzalinho-Projekt AG am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Metzingen entstand 2002 aus einem ersten Kontakt über die katholische St. Bonifatiusgemeinde. Die selbstorganisierte Initiative im brasilianischen Bundesland Mato Grosso holt Kinder aus Familien mit Mehrfach-Jobs (um zu überleben) von der Straße. Über einen 2008 gegründeten Förderverein wurden zwei FSJ-Stellen geschaffen, die in der Regel über den Verein oder von ehemaligen Bonhoeffer-Schülern besetzt werden. Die Gonzalinho-Kinderprojekt AG des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums ist Teil des Schul-Leitbildes.
(SWP Metzingen; Angela Steidle)